German Angst
Liebe Reisegruppe, dieses Blog hat wegen polizeilicher Ermittlungen leider eine Verspätung von etwa zwei Tagen. Würde ich sagen, wenn es nicht Heldenreise hieß, sondern Bahnreise. Am 23. November hatte nämlich jemand einen Koffer mit Wäsche auf dem ungemütlichsten Bahnsteig jenseits des Rheines stehen gelassen. Das nahm die Deutsche Bahn zum Anlass, den Raum Düsseldorf großzügig zu umfahren. Was sie ihren Fahrgästen allerdings erst auf der Höhe von Leverkusen mitteilte. Aber die entsprechende Durchsage war formvollendet: „Ach, übrigens, der Düsseldorfer Hauptbahnhof ist gesperrt, wir fahren direkt durch bis Duisburg.“ Blöde Sache, toll verpackt. Kurze Zeit später war es leider vorbei mit der Beiläufigkeit, als eine zweite Durchsagestimme plötzlich von einer „Bedrohung in Düsseldorf“ sprach. Daraufhin hechtete am Mühlheimer Bahnsteig auch gleich jemand sehr hektisch aus dem Zug und wollte mit lauter Stimme von allen Anwesenden wissen, ob jemand seine Jacke im Zug vergessen hätte, weil das bei 3 Grad ja durchaus mal passieren könne. Im Zug befände sich jedenfalls eine herrenlose Jacke.
Richtig, eine herrenlose Jacke. Ein verdächtiges Kleidungsstück. Ein unheimlicher Anorak. Selbstverständlich beschleunigte jeder Mensch auf dem Bahnsteig seine Schritte in Richtung Ausgang. Weil ja niemand wusste, ob diese Oberbekleidung vielleicht einen Migrationshintergrund hatte und deshalb rein theoretisch jeden Moment in die Luft fliegen könnte. Wie es integrationsunwillige Janker eben so tun.
Deutschland und seine Angst
Was mich zum Thema bringt: Angst. „Ich brauche meine Angst, um zu wissen, wer ich bin.“ Sprach einst Kirk vor Gott und hatte Recht. Jeder Mensch hat Angst und jeder Mensch braucht Angst. Sie zeigt uns, dass es ernst ist und wann wir uns den Grenzen unserer Belastbarkeit nähern. Aber Angst ist dazu da, um überwunden zu werden. Das macht einen Helden aus: Dass er Angst verspürt und sie überwindet. Und schließlich, wenn er sie überwunden hat, auf sein vollbrachtes Werk blickt und merkt, dass es sich verdammt gut anfühlt.
Deutschland sieht das im Moment leider anders. Die einschlägige Politik wird nicht müde, die gefahrvollen Umstände unserer aktuellen Existenz immer wieder zu betonen. Terror, Angst und Staatsgewalt / Alles für den Machterhalt könnte man dichten. Selbst wenn man der koalitionären Truppe nicht Restauration aufgrund schwindender Popularität vorwerfen möchte, wirkt diese staatlich verordnete Hysterie alles andere als souverän. Ist auch okay, schließlich ist ja das Volk der Souverän. Und der reagiert glücklicherweise relativ gelassen.
Es ist beispielsweise schön zu sehen, wie souverän sich der Souverän zumindest in der Journaille verhält. Die Redakteure von Quarks & Co haben etwa hier eine sehr ernüchternde Bilanz gezogen. Seit dem 11. September 2011 sind in Europa 247 Personen durch einen Anschlag ums Leben gekommen. Stürme haben im selben Zeitraum 256 Menschen das Leben gekostet. Und 50.000 Menschen starben während dieser Zeit in Krankenhäusern, weil ihnen ein falsches Medikament verabreicht wurde. Wann tut also endlich jemand etwas gegen diese Ärzte?
Mahner aus der digitalen Wüste
Ernsthaft: Heute Morgen bei EinsLive sprach zum Beispiel der Nachrichtenpraktikant davon, dass in Deutschland „offenbar“ eine erhöhte Terrorgefahr bestünde. In dieser Verwendung war das kleine Wörtchen ein tolles Detail, das eine gemütliche Distanz zu den offiziösen Verlautbarungen über eine bevorstehende Turbanapokalypse offenbarte. Auch die Netzgemeinde, wenn es denn eine solche gibt, ist sich relativ einig, bzw. so einig, wie sich eine Gemeinde mit fraglicher Existenz eben sein kann. Sie sagt: Deutschland, reiß dich mal zusammen. Weil, das führt doch zu nix. Und mit Deutschland meint man hier das Personal. Denn manchmal muss der gütige Staat aller Deutschen seine berufenen Diener eben zur Raison rufen, damit sie nicht so dummlärmend auf den Putz hauen.
Im konkreten Fall hören wir also gelassenen Stimmen aus den Weiten des virtuellen Raumes, die hier zur Maßhaltung aufrufen. Seitens der Blogs und Netzleser merkt man sehr deutlich, was eine hohe Informationskompetenz ausmachen kann, wenn es etwa um Gerüchte und gefühlte Faktenlagen geht. Julius Endert von Blinkenlichten twitterte dazu: „Wenn bei jedem der mehr als 4.000 Verkehrstoten die Straßenverkehrsordnung so verschärft würde, als sei es Terror, wäre Autofahren verboten.“ Recht hat er. Natürlich kann man Bomben nicht mit Leitplanken vergleichen, aber die effektive Todesgefahr der Leitplanke ist in Deutschland statistisch gesehen um einiges höher.
Die Kapriolen, die vor allem vom rechtskonservativen Rand aus geschlagen werden, verzerren sich dabei ins Lächerliche. Zum Beispiel Herr Kauder von der CDU. Er hat unlängst den Vorschlag gemacht, man solle doch über relevante Ziele nicht mehr in den Zeitungen berichten. Oha. So einfach trickst man Terroristen aus. Da wird Herr Bin Laden ganz schön dumm aus dem Kaftan schauen, wenn er sich des Morgens zusammen mit einer Tüte Brötchen die Süddeutsche am Kiosk holt, und nur noch Lapidarien über Hoyerswerda und Havixbeck lesen kann. Dann kann Al Qaida einpacken.
Ein Triumph der Mittelfinger
Halten wir fest: Die Ruhe und Gelassenheit, die man in Krisenzeiten von den Staatsdienern fordert, geht in diesen Zeiten vor allem vom Internet aus. Das ist schön, und das ist Staat Zwonull. Sicher, man kann das auch als Zeichen von dumpfem Hedonismus sehen. Muss man aber nicht. Viel eher als Heldentum: Standhaft bleiben in Zeiten der Krise. Die Angst überwinden und zu seinen Idealen und Prinzipien stehen. Den Überblick behalten, Ruhe bewahren und keine vorschnellen Entschlüsse treffen. Vor allem: Dem Terror die Stirn bieten und sich nicht einschüchtern lassen. Michael Pantelouris schreibt hier ganz treffend: „Jeder, der in einer deutschen Großstadt in die U-Bahn steigt, auf einen Weihnachtsmarkt geht oder einfach nur genau so weitermacht wie bisher, ist ein gestreckter Mittelfinger in Richtung von Osama bin Laden.“
Die Initiative „Wir haben keine Angst“ von Mario Sixtus ist deshalb ein Triumph der Mittelfinger und zugleich ein Hort der Heldenhaftigkeit. Sie ist zwar schon einige Tage alt (in Netz-Verhältnissen also mindestens Jahre), aber immer noch veröffentlichen die Leute dort ihr Statement gegen die Angst. Ich hab auch etwas dazu geschrieben, weil mir in dieser Situation insgeheim schon etwas unwohl ist. Aber ich komm damit klar und geh damit um. Und ich will mutig sein. Ich lasse mir von Terroristen und Politikern nicht meine Freiheit nehmen. Weder die Freiheit positiv und glücklich zu denken, noch die Freiheit über den Reichstag, den Kölner Dom und den Frankfurter Flughafen in der Zeitung zu lesen. Und ich wünsche mir, bald ist ja Weihnachten, dass die Politiker und Pressesprecher dieser Nation sich an diesem Zugführer von vorgestern ein Beispiel nehmen, der mit rheinischer Gelassenheit über die Bombenstimmung am Düsseldorfer Hauptbahnhof informierte, als handelte es sich um einen Gleisdefekt. Terror bekämpft man nämlich am besten mit Courage.
Deshalb zum Schluss: Kitsch mit Brusthaaren.
Sehr schön geschriebener Artikel. Schön fand ich dazu auch den Beitrag von Hagen Rether in der Anstalt http://www.youtube.com/watch?v=TsWLyy8Uin0 passend, da die Angst vor Terrorismus und Angst vor dem Islam gerne nicht nur Hand in Hand, sondern siamesischen Zwillingen gleich durch Deutschland geht.
Ehrlichgesagt habe ich die meißte Angst davor, dass uns diffuse Panikmache das Hirn so weit vernebelt, dass wir uns den Polizeistaat mit Komplettüberwachung samt Vorratsdatenspeicherung und Nacktscanner wünschen- ja das wir die Politik geradezu anflehen, unsere Privatsphäre zu beschneiden, damit wir uns bloß sicher fühlen können. Dabei weiß man doch, dass die übervorsichtigen Mütter, die die Schnuller ihrer Kinder in Sagrotan tunken wenn sie mal auf den Boden gefallen sind, ihre Blagen damit nicht gesünder, sondern kränker machen.
Und genau wie Sagrotan die Ängste der Mütter vor gefährlichen Bakterien schürt, schürt die Politik unsere Angst vor dem ungreifbaren Terror- um uns für dumm zu verkaufen und uns Dinge anzudrehen, die wir nicht nur nicht brauchen, sondern die uns sogar krank machen.
Was lerne ich daraus: Ein bisschen Angst und Bedenken sind in Ordnung. Genau wie ich selten im Abwasserkanal schwimmen gehe, würde ich mich vor der irakischen Sonne nicht mit einer George Bush-Maske schützen wollen, aber alles braucht sein Maß und seine Verhältnismäßigkeit.